Rückblickend kann ich manches, was wir während unserer Zeit mit dem Camper in Rumänien erlebt haben, immer noch nicht fassen. Dieses Land stand schon so lange auf unserer Liste- Noch kurz vor Antritt unserer Reise waren wir uns dennoch nicht sicher, ob wir Rumänien besuchen sollten. Ist es moralisch vertretbar in ein Land zu reisen, das einen großen Teil seiner Grenze mit der Ukraine teilt? Kann man die Reise genießen, wenn im Nachbarland Krieg herrscht? Und halten wir es aus, so viele Straßenhunde zu sehen? Gerade letzteres wird uns wohl unser Leben lang begleiten. Auf eine beeindruckende, traurige und gleichzeitig schöne und emotionale Weise.

Der Anfang – Schafhirten und Musik

„Oh nein, ich höre Schafsglocken!“ Flo und ich sitzen noch am Frühstückstisch, als das Grauen naht. Es gibt kein Entrinnen. Die ersten Hunde tauchen hinter den Bäumen auf, gefolgt von blökenden Schafen, die in das Licht der Vormittagssonne treten und sich über das frische Gras der Wiese hermachen. Und dann vernehmen wir auch schon das Gedudel. Der Hirte läuft geradewegs auf uns zu. Mit seinem Solarradio, das scheinbar nur ein Lied kennt. Es ist sein ganzer Stolz. Darum trägt er es nah an seinem Körper und lässt es nur selten schweigen. Er bleibt einen Meter vor uns stehen und beobachtet uns. Genauso wie gestern.

Wir grüßen, lächeln verlegen und wissen wieder nicht, was wir tun sollen. Mit Gesten fragt Flo ihn, ob er gut geschlafen hat. Und der Hirte nickt lächelnd. Wieder eine Pause. Wie unangenehm. Also fangen wir an aufzuräumen. Ich habe kein mobiles Netz. Was gestern noch funktioniert hatte, ist uns heute keine Hilfe mehr. Meine Übersetzungsapp ist tot. Der Hirte beobachtet uns immer noch. Wortlos, aber interessiert. Wir zeigen, dass wir jetzt spazierengehen werden. Er entscheidet, dass er uns begleitet und dreht die Musik wieder lauter. Schiefe Töne und hohe Stimmen durchdringen unsere Gehirne. „Foto, Foto!“ ruft der Hirte plötzlich. Dann holt er sich ein Schaf und hebt es an seinem Kopf nach oben. „Mach schnell ein Foto, damit das aufhört!“ bittet Flo. Danach schlagen wir eine andere Richtung ein und winken freundlich zum Abschied.

Aber schon am Nachmittag sehen wir die Herde wieder herannahen. Der Hirte setzt sich zu uns. Und weil wir ihm nicht, wie am Vortag, Bier anbieten, öffnet er seine eigene Dose. So sitzt er da und beobachtet uns wieder. Aus Verlegenheit bewundern wir sein tolles Radio. Und er freut sich, dreht es auf und bittet uns den Text anzuhören. Den wir gar nicht verstehen. Etwa eine Stunde lang dürfen wir lauschen. Wir erleiden einen Ohrwurm. Aber als der Hirte gegangen ist, können wir nicht mehr anders und müssen lachen. Und wir kommen zu dem Schluss, dass er doch eine sehr interessante Begegnung war.

An unserem letzten Morgen fragen wir uns, ob wir uns noch verabschieden können werden. Und als hätte er es geahnt, taucht der Hirte dieses Mal früher auf. In frischer Sonntagskleidung. Wir grüßen ihn, lachen und räumen in aller Ruhe zusammen. „Wo schläfst du?“ fragen wir. Und er zeigt auf die Erde.

Durch einen Internetartikel erfahre ich später, dass die wandernden Schafhirten bei ihren Herden bleiben, Tag und Nacht. Dass sie Kälte, Hitze, Einsamkeit und Wildtieren trotzen. Oft weit entfernt von ihren Familien.

Wie heißt du eigentlich? Wir zeigen auf uns selbst, sagen unsere Namen und er verrät uns seinen: Neil. „Neil, schön dich getroffen zu haben.“

Auf unserem weiteren Weg mit unserem Camper durch Rumänien treffen wir viele Hirten. Ihre Namen erfahren wir nicht. Aber wir haben jetzt eine Ahnung davon, welche Entbehrungen und Hindernisse ihr scheinbar langweiliges Leben bereithält.

Das Abenteuer in Rumänien – mit dem Camper in die Wildnis

„Wir waren einen Monat in Rumänien unterwegs und haben keinen einzigen Bären gesehen“ hatte uns ein holländisches Paar erzählt. Also erwarten wir nicht, dass wir welche sehen werden.

Unser dritter Schlafplatz in Rumänien sieht langweilig aus: am Rande einiger Ackerflächen, zwischen ein paar Bäumen. Während wir unsere Route planen, sitzen wir mit gesenkten Köpfen auf unseren Stühlen vor unserem Camper. Nur zwei mit Menschen beladene Kutschen bewahren uns davor, eine böse Überraschung zu erleben. Hinter uns läuft ein Bär übers Feld. Die Leute vertreiben ihn mit Rufen und Gepolter. Nur 10 Minuten vorher wären wir beinahe in genau diese Richtung spaziert.

Ich werde niemals diesen Anblick vergessen, wie der Bär von einer Staubwolke verfolgt, davonrennt. Wir sichern unsere Sachen, packen Diego in den Van und bleiben mit weit geöffneten Augen im Dämmerlicht stehen. Der Bär zeigt sich in einiger Entfernung noch einmal, kommt aber nicht in unsere Richtung. Im Laufe des Abends hören wir viele Bären, sie scheinen zu kämpfen. Im nahen Wald, hinter unserem Camper.

Die angefütterten Bären auf der berühmten Hochstraße Tranfagarasan beeindrucken uns lange nicht so sehr. Obwohl sie greifbar nahe sind. Aber das Abenteuer liegt darin, die Dinge durch Zufall zu finden. Und so genießen wir dieses Gefühl, ganz in der Wildnis zu sein, wenn wir sie wieder einmal miteinander kämpfen hören. Oder wenn wir einen beobachten, als er einen Hang hinunterklettert. Auf Futtersuche, ganz natürlich eben.

Das Happy End – Lika

Wälder, Berge, Flüsse, Bäche, Wasserfälle – das ist die Wildnis der Karpaten. Aber während wir dem Gebirgszug folgen, durchfahren wir auch Dörfer und Städte. Kutschen, Hüte, Musik, winzige Lokale, Heuhaufen, Schlösser – das ist das Kulturgut Rumäniens. Auf einem Campingplatz im Pfarrgarten eines kleinen Dorfes unterhalten wir uns mit dem Betreiber. Er erzählt uns die wahre Geschichte von Dracula. Wir treffen alte Leute, die mit uns Deutsch sprechen. Und eine junge Frau beim Tierarzt, die sich im Warteraum zu mir setzt. Sie wirkt auf mich wie die Sonne und die Freundlichkeit in Person. Sie ist auch Reisende und wir tauschen unsere Kontaktdaten aus. Die Menschen in Rumänien erobern unsere Herzen.

Nach einem Monat mit dem Camper durch Rumänien sind wir endlos verliebt in das Land. Doch auch hier gibt es schlechte Dinge, wie auch anderswo auf der Welt. So viel Müll – er liegt überall! Es macht uns jedes Mal traurig, wenn wir ihn an abgelegenen Plätzen mitten in der Natur vorfinden. Was uns aber mehr schmerzt, ist der Anblick der Straßenhunde. Bei Regen hetzen sie gestresst durch die Dörfer, in ihren Augen die Sorge: „wie soll ich heute an Futter kommen, wenn niemand etwas draußen wegwirft?“ Und wenn die Sonne scheint, dann tragen ihre Gesichter Schatten. Voller Durst trotten sie umher oder liegen an den Straßenrändern.

Immer, wenn uns eins der Tiere schwach vorkommt, verteilen wir etwas Futter und stellen Wasser auf. Einmal liegt ein kleiner, sehr junger Hund halb auf der Straße. LKW donnern an ihm vorbei. Wir fragen uns, ob er verletzt ist. Und weil uns die Frage nicht loslässt, kehren wir um. Aber der Hund ist fort. Wir haben beide einen dicken Kloß im Hals. „Damit du´s weißt, ich hätte den Hund da nicht einfach liegenlassen können.“ sagen wir fast gleichzeitig.

Es soll in Richtung Türkei gehen. Und an unserem letzten Abend in Rumänien sitzen wir sentimental vor unserem Camper und lassen das Erlebte Revue passieren. Was wir zu dem Zeitpunkt nicht wissen: dass es längst nicht unser letzter Abend sein wird. 50 Kilometer vor der bulgarischen Grenze fährt Flo rechts ran. „Nur eine schnelle Pinkelpause, gleich geht´s weiter.“

Aber ich sehe da etwas im Gebüsch liegen. Ein wedelndes Schwänzchen und Augen die auf mich gerichtet sind. Und als die kleine Hündin freudig auf uns zukommt, bricht mir fast das Herz. Ich sehe mich um. Unmengen von Plastikmüll, Hundekadaver, eine stark befahrene Hauptstraße. Wie soll dieses Tier hier überleben?

Wir rufen eine Tierschutzorganisation an. Man spricht Deutsch mit mir und hilft bei der Lösungsfindung. Wir entscheiden uns für die unbequeme, aber sichere Variante.

Eine Stunde dauert es bis wir die Hündin an Bord haben. Sie will spielen, gestreichelt werden und fressen. Aber sie lässt sich mit der Decke, die wir als Selbstschutz verwenden, trotzdem nicht einfangen. Ganz zum Schluss haben wir einen simplen Einfall. Wie wäre es mit einer Leine? Wir binden eine Schlaufe, ich hocke mich zu ihr, streichle sie und lege ihr die Leine um. Das lässt sie sich gefallen. Und als ich aufstehe, läuft sie an der lockeren Leine hinter mir her, als wäre es selbstverständlich.

Drei Stunden später stehen wir mit unserem Camper auf dem Gelände des größten Tierheims der Welt, mitten in Rumänien. In Smeura. Die Hündin wird in Empfang genommen und durchgecheckt. Wir bleiben die ganze Zeit bei ihr. Noch völlig durcheinander, wissen wir überhaupt nicht, was wir jetzt tun sollen. Wir bleiben im Ort, denn es ist spät und wir haben Hunger.

Nach einer schlaflosen Nacht besuchen wir sie noch einmal. Wir gehen mit ihr spazieren und nennen sie Lika. „Ab jetzt gehörst du in unser Team.“

Aber ist es nicht verrückt, einen Hund, einen Zweithund (!) zu adoptieren, während man auf Reisen ist? Wie es mit Lika weitergeht, wirst du bald hier auf meinem Blog erfahren. Bis dahin: schaue einfach bei Instagram vorbei.

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